Das Tapedeck in Habacht-Stellung verfolgte ich in den 70ern aufmerksam die Radio-Hitparade der zumeist englischsprachigen Songs. Doch der musikalische Funke von Status Quo und Smokie wollte nicht recht überspringen. Einmal wurde die Langversion von Davy´s On The Road Again gespielt. Der improvisierte Mittelpart haute mich um. Fortan drehte sich bei mir und auf dem Plattenteller alles rund um englische Artrockbands, auch wenn Manfred Mann ein südafrikanischer Jazzpianist war.
Unten im Erdgeschoss, bei der älteren Hausbesatzung, kochte aus weißen Braun-Boxen Wagners Tristan und Isolde. Oben links überraschte ABBA mit bestechenden Melodien – Summer Night City in der Live Version wirkt immer noch hautaktivierend – und selbst steuerte ich Genesis Seconds Out zum Hausfriedensbruch bei.
Wenig später erkannte ich, dass Beethoven und Karajan keine Zwangsläufigkeit darstellten, auch Georg Szell spielte die Fünfte. Die Irritation war groß, denn das Werk erklang unter anderer Leitung so anders.
Ein halbes Jahrzehnt weiter rotierte die 35ste Einspielung der 4. Bruckner Symphonie im CD-Player. Bei den unzähligen Vergleichen, wie welcher Dirigent eine spezifische Stelle leitet, war das berührungslose Abtasten der neuen Medien ein Segen für Selbige. Doch es machte sich auch Ernüchterung breit: So wie ich die ROMANTISCHE gerne gehört hätte, war sie nicht verfügbar.
Denn unterdessen war ich auf das Musikverständnis von Carlos Kleiber fixiert. Sein Dirigat war differenzierter als gewohnt. Ob er evtl. die vierte Bruckner einspielt?
Der Freundeskreis hingegen hörte Chick Corea. Auch im 5. Hör-Anlauf machte Jazzmusik bei mir keinen Stich gegen Genesis, Pink Floyd und Supertramp. Im 20. Anlauf kapitulierte ich letztlich vor meinen „schrägen“ Freunden: Ich besaß WE WANT MILES – das hieß nicht, dass ich das gelbe Album auch hörte. Was hat eine Kindermelodie in seriöser Jazzmusik verloren?
Heute ist diese Scheibe ein einziger Glücksfall, wie die meisten Miles Davis Aufnahmen. Und Chick Corea? All jenen, denen beinharter Fusion Jazz am Herzen liegt, sei PAINT THE WORLD empfohlen – Anspieltipp Track 9-12. Gary Novak spielt hier sensationell Drums.
Und die 4. Symphonie von Anton Bruckner? Gottlob gab es Sergiu Celibidache. Er leitete die ergreifenden Werke des Österreichers noch schöner, als ich es mir hätte erträumen können. Für mich sind die „späten“ C. Kleiber und Celibidache die Instanzen in Sachen symphonischer Musik. Im Opernbereich schätze ich Furtwängler über alle Maßen.
Doch auch einige andere Dirigenten inspirierten mich mit kleiner Einschränkung, wenn das Programm passte. So etwa Leonard Bernstein, Jascha Horenstein und Kurt Sanderling. Unter den heute lebenden Maestros drängt sich mir hauptsächlich Sir Simon Rattle auf, der bei geeigneter Komposition zu sehr hoher Plastizität fähig ist.
Warum Christian Thielemann in aller Welt so hoch im Kurs steht, ist mir rätselhaft. Ähnlich wie sein italienischer Kollege Riccardo Muti hält er zwar das Orchester exzeptionell zusammen, aber sein Strukturierungsvermögen beginnt und endet im Rhythmischen – Timing, Phrasierung. Thielemanns Veröffentlichung der 5. Bruckner Sinfonie in der Höhle des Löwen – er war der zweite Nachfolger von Celibidache in München – ist für mich eine einzige Provokation. Mehr Leere lässt sich kaum auf CD brennen. Auch sein späterer Liveauftritt mit den Münchnern und ebendieser 5. in Dortmund hinterließ mit wenigen Ausnahmen einen ähnlichen Eindruck.
In den folgenden Kurz-Rezensionen gehe ich nicht auf musikwissenschaftliche Aspekte ein, auch nenne ich keine Taktangaben, da die wenigsten Leser über Partitursammlungen verfügen. Prägnante Passagen werden, der leichten Auffindbarkeit wegen, in Form von Zeitangaben gekennzeichnet.